Zwischen Lödingsen und Erbsen liegt linker Hand ein bewaldeter Hang, dem man den Namen „Ziegenberg“ gegeben hat. Wie es zu dieser Namensgebung gekommen sein soll, sagt folgende Begebenheit aus:
Zwei Jungbauern aus Erbsen gingen an einem Sonntagabend in eine Spinnstube nach Lödingsen.
„Spinnstube“ nannte man die Zusammenkunft von Dorfgemeinschaftsgruppen. Weibliche und männliche Dorfbewohner gleichen Alters trafen sich an den langen Herbst- und Winterabenden abwechselnd in den Häusern der Beteiligten oder auch im „Kruge“, um im frohen Kreise zu „spinnen“, wie es die ursprüngliche Bezeichnung aussagt. Man erzählte sich schaurige und witzige Histörchen, wahre und gesponnenen Geschichten, sang alte Volks- und Heimatlieder, machte Musik mit dem „Tokkebuil“ (Ziehharmonika) oder der „Moulorgel“ (Mundharmonika) und bisweilen tanzte man dazu. In den Kreisen der älteren Generation tauschte man auch Erfahrungen aus. Die Mütter sollen ein bisschen Vorarbeit zur Ehegemeinschaft ihrer Kinder ( Heiratsverkupplung) geleistet haben. Nicht jeder Fremde hatte Zutritt zu den Spinnstuben, doch verwandtschaftliche Bindungen zu den Nachbardörfern ließen hie und da schon mal Besuche von Fremden zu. Diese trug gewiß dazu bei, dass die sogenannte „Inzucht“, vor der sprichwörtlich gewarnt wurde: Heirat ins Blut, geht selten gut – nicht überhand nahm.
Verwandschaftliche Beziehungen hatten auch die beiden jungen Erbser, denn sie bewegten sich auf Freiersfüßen mit dem Segen ihrer Mütter.
Nach dem sehr fröhlich verlaufenden Spinnstubenabend traten sie gegen Mitternacht, das Bild der Angebetenen nachhaltig vor Augen und ein lustiges Lied vor sich hinpfeifend, den Heimweg an. Als sie nun so eine Weile gewandert waren, blieben beide plötzlich stehen und lauschten. Aus dem nahen Wald heraus hörten sie durch die nächtliche Stille unmissverständlich das Gemeckere von Ziegen. Das „Meck-meck-meck“ kam, mit kleinen Pausen dazwischen, von verschiedenen Stellen des Waldes.
Mal schien es ganz in der Nähe dann wieder fernab zu sein. Es war ihnen schon komisch zumute, und sie rätselten daran herum, wieso sich zur Nachtzeit eine Ziegenherde im Wald befinden könne. Die Neugier und das fortwährende „Meck-meck-meck“ veranlasste die beiden Bauernburschen dazu, in den Wald hineinzugehen. Doch schon bald bemerkten sie, dass in der Dunkelheit nichts auszurichten sei. Es meckerte vor Ihnen, es meckerte hinter ihnen, aber feststellen konnten sie gar nichts, und demzufolge wurde die Suche abgebrochen. Auf dem Nachhauseweg verabredeten sich die beiden nun, in den frühen Morgenstunden bei Licht der Sache auf den Grund zu gehen.
Gesagt, getan! Sie suchten den ganzen Hang ab, aber die vermutete Ziegenherde schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Man entdeckte keine Spuren aber auch keine Losung. Das ganze war wirklich rätselhaft! Grübelnd gingen die beiden nach Erbsen zurück, erzählten aber niemandem etwas von ihrem Erlebnis. Wer hätte es ihnen schon geglaubt?
Ein paar Nächte später machten sie schließlich nochmals den Weg dorthin und fanden, was sie wohl kaum erwartet hatten, die gleiche Situation vor. Obwohl sie wieder in den Wald hineingingen und nachsuchten, ließ sich das Geheimnis nicht lüften. Sie gaben vorerst entmutigt auf, doch aus ihrer Gedankenwelt verschwand die unentschiedene Frage nach den unsichtbaren Ziegen nicht.
Eines Tages, es ergab sich so vom Gespräch her, sagte einer der beiden Jungbauern zum Knecht beim Frühstück während der Feldarbeit am Kükenberg, wenn er billig an ein paar Ziegen kommen wolle, solle er gegen Mitternacht drüben, er zeigte mit der Hand dorthin, in das Wäldchen gehen; denn da halte sich seit einiger Zeit eine ganze Herde in den Nachtstunden auf. Er fügte hinzu, dass sein Freund und er dieses kürzlich selbst festgestellt hätten.
Zwischenbemerkt sei: Nach einer Anordnung des Gerichtsherrn von Adelebsen war das Hüten von Ziegen auf Waldgrundstücken unter Androhung hohen Strafmaßes verboten. Es bestand somit schon die Möglichkeit, dass trotz Verbots mancher arme Ziegenhalter seine Tiere nachts unter Mithilfe der ganzen Familie im „Holte“ (Holze) hütete.
Der Knecht, ein tüchtiger Arbeiter, aber ein wenig naiv, glaubte zwar nicht, was ihm der Jungbauer vertraulich mitgeteilt hatte, versuchte mit seinem Weibe schon in der nächsten Nacht klammheimlich sein Heil im Ziegenfang. Am folgenden Tag antwortete er auf die Frage des Jungbauern, ob er sich ein paar Ziegen eingefangen habe: „Doa wass watt, un doa wass doch nits! Duiwelswark iss datt!“ (Da war etwas, und da war doch nichts! Teufelswerk ist das!) Mittlerweile wurde die Geschichte von den unsichtbaren Ziegen zum Dorfgespräch. Viele wollen sie gehört haben: doch gesehen hat sie niemand. Der bewaldete Berg wurde fortan „Ziegenberg“ genannt.
Gewiß ließ sich auch bald das Geheimnis lüften. Es waren keine normalen Ziegen, und der Teufel hatte nicht seine Hand im Spiel, sondern Nachtschwalben sind es gewesen, die im Flug ziegenähnliche Laute von sich geben. Sie bevorzugen trockene Waldungen und Waldblößen als Aufenthaltsort. Der Volksmund nennt diese Vögel auch „Himmelsziegen“ oder „Ziegenmelker“.
Die letzte Bezeichnung beruht auf dem Volksglauben, sie sollen nachts heimlich die Ziegen gemolken haben....
Anm.: Neuerdings stellten Forscher der heimischen Vogelwelt bei ihren Beobachtungen wiederholt fest, dass Ziegenmelker häufig dem Straßenverkehr zum Opfer fallen, wenn sie in der Dämmerung über den am Tage aufgewärmten Asphaltstraßen nach Insekten jagen.
(Internetbearbeitung M.Buhre/N.Hille)